Gesundheit

Gemeinsam stark in Berg Fidel: Wie Community-Forschung den Stadtteil verändert

06.08.2025 - Seit Mai 2023 gibt es in Münsters Stadtteil Berg Fidel eine Community-Forschung. Was sich hinter diesem Begriff verbirgt, ist etwas ganz Praktisches: Es geht darum, Menschen im Stadtteil zusammenzubringen und ihnen mehr Teilhabe an der Stadtteilentwicklung zu ermöglichen - durch Empowerment und Selbstorganisation. 

Der große Mehrwert lässt sich durch die kleinen gemeinsamen Projekte, wie zum Beispiel einem regelmäßig stattfindenden Kochabend, direkt erkennen. Wer zum Team der Community Forschung in Berg Fidel gehört, wie das Ganze entstanden ist, welche konkreten Projekte schon gemeinsam umgesetzt werden konnten und wie es weitergeht, erfahren Sie in diesem Artikel.

Programmkoordination am Institut für Geographie der Universität Münster
Lisa Kamphaus
0251 83-30117

Der Hintergrund: Alle Menschen sollen die gleiche Chance auf ein gesundes Leben haben

In Deutschland unterscheidet sich die Lebenserwartung je nach Stadtteil um bis zu 12 Jahre. Das zeigt, wie wichtig es ist, gesundheitliche Chancengleichheit aktiv anzugehen. Doch was bedeutet eigentlich gesundheitliche Chancengleichheit? 

Gesundheitliche Chancengleichheit heißt: Alle Menschen sollen die gleiche Chance auf ein gesundes Leben haben – egal, ob sie reich oder arm sind, wo sie wohnen, welches Geschlecht sie haben, ob sie eine Behinderung haben oder welcher Herkunft sie sind. Gesundheit hängt nicht nur vom Körper ab, sondern auch davon, wie Menschen leben, arbeiten oder wohnen.

Das Problem dabei: Gesundheitsrelevante Themen bleiben oft unsichtbar - vor allem von Menschen, die stark von gesundheitlicher Ungleichheit betroffen und aus diesem Grund besonders vulnerabel sind. Häufig leben diese Menschen in benachteiligten Stadtteilen. Sie werden vor allem als hilfsbedürftig angesehen. Dass aber die Menschen sehr unterschiedlich sind und viele eigene Stärken haben wird oft vergessen!

Auch im Projekt „Gesundheit in der nachhaltigen Stadt“ wurde das sichtbar. Dort ging es darum, gemeinsam ein Programm für mehr Gesundheitsgerechtigkeit in Münster zu entwickeln. In Berg Fidel zeigte sich: Wenn man nur die Schwächen der Menschen sieht, übersieht man ihre Möglichkeiten zur Teilhabe – das kann gesundheitliche Chancengleichheit verhindern.

Die Stärken der Menschen sichtbar machen

Besonders in Stadtteilen wie Berg Fidel wird deutlich, dass herkömmliche Formate der Beteiligung oft nur schwer die Menschen vor Ort ansprechen. Vor allem diejenigen, die am meisten von Teilhabe profitieren könnten, werden nicht erreicht.

Hier setzt die "Community Forschung Berg Fidel" an. Das Pilotprojekt wurde ins Leben gerufen, um auf die Bedürfnisse und Herausforderungen im Stadtteil Berg Fidel einzugehen. Das Ziel ist es, neue Wege der Beteiligung zu erproben und das Engagement der Bewohner*innen durch kleine, gemeinschaftliche Projekte zu stärken. 

Dabei gilt es, nicht nur die Probleme sichtbar zu machen, sondern vor allem die vorhandenen Stärken der Menschen und die Möglichkeiten, die der Stadtteil zu bieten hat, zu erkennen und zu nutzen, um Empowerment und Teilhabe im Stadtteil zu fördern. 

Das Video zeigt die Hintergründe, wie das Projekt „Community Forschung Berg Fidel“ entstanden ist und erklärt, was gesundheitliche Chancengleichheit bedeutet. 

©Video "Citizen-Science-Preis: Community Forscher*in für Berg Fidel" der Stiftung WWU Münster

Die Idee: Neue Formate für Teilhabe und Empowerment

Community Forschung setzt auf einfache, kreative und gemeinschaftliche Ansätze. Dabei führt eine Person, die selbst aus der Community, also aus Berg Fidel kommt, Gespräche vor Ort, um die Bedarfe und vorhandenen Ressourcen  der Community zu ermitteln. Der große Vorteil: Es ist viel leichter, mit jemanden über Probleme oder Bedarfe des Stadtteils zu sprechen, den man selber schon lange kennt oder von dem man weiß, dass er oder sie ebenfalls vor Ort wohnt und ähnliche Erfahrungen gemacht hat wie man selbst.

Zunächst übernahm Natividad Abaga Ayecaba, die aus dem Stadtteil stammt, für das Projekt in Berg Fidel diese Rolle der Community Forscherin. Sie bekommt hautnah die Themen des Stadtteils mit, ist immer ansprechbar und bildet die Schnittstelle auch zu Akteur*innen des Stadtteils. Aus den Gesprächen und den entstandenen Vertrauensbeziehungen über Natividad werden dann zusammen mit weiteren Bewohner*innen des Stadtteils gemeinsame Projekte entwickelt und umgesetzt. Beispielhaft können hier der offene Treff, das Community Dinner und die Frauen-Partys genannt werden. Durch die konkrete Umsetzung dieser Projekte und Ideen wird die Community gestärkt.  Die Menschen vor Ort werden dazu ermutigt, sich aktiv zu engagieren und eigene Projekte zu erarbeiten, die auf Bedarfe im Stadtteil reagieren.

Durch die gemeinsame Organisation von Veranstaltungen hat sich nun eine kleine Gruppe von Frauen gebildet, die ebenfalls zu Community Forscher*innen geschult werden und weitere Projekte vor Ort umsetzen.

Die Community-Forscherin Natividad Abaga Ayecaba im Gespräch in Berg Fidel. ©Auszug aus dem Video "Citizen-Science-Preis: Community Forscher*in für Berg Fidel" der Stiftung WWU Münster.

Die gemeinsamen Projekte auf einen Blick 

Es geht bei der Community Forschung nicht nur um das Sammeln von Daten oder das Verstehen von Ursachen für gesundheitliche Ungleichheiten. Vielmehr steht ein transformativer Ansatz im Mittelpunkt: Es werden Formate geschaffen, die direkt mit den Menschen vor Ort entwickelt werden und an den tatsächlichen Bedürfnissen und Ressourcen ansetzen. Dadurch wird das Engagement der Community gestärkt, und die Menschen werden ermutigt, sich selbst zu organisieren und aktiv an der Gestaltung ihres Stadtteils mitzuwirken.

Welche Formate bisher daraus entstanden sind, sehen Sie hier:

Der offene Treff

Seit Dezember 2023 findet jeden ersten Dienstag im Monat nachmittags ein offener Treff für Bewohner*innen in Berg Fidel statt. Dieser regelmäßige Austausch bietet eine Plattform, um gemeinsam über wichtige Themen zu sprechen – ganz auf Augenhöhe und ohne Vorurteile.

Ein Schwerpunkt liegt auf der gesundheitlichen Chancengleichheit. Hier werden sensible Problemlagen offen und respektvoll besprochen, um den Blick auf die Bedürfnisse vor Ort zu lenken und gemeinsam Projekte und Ideen zu entwickeln, die den Stadtteil weiter stärken sollen. Zudem arbeitet der Treff eng mit lokalen Akteur*innen zusammen, beispielsweise zur Nutzung von Räumen.

Die Frauen-Partys

Zweimal fanden in Berg Fidel bereits sogenannte Frauen-Partys statt. Hier können Frauen – unabhängig von ihren Familien und ohne Männer – gemeinsam tanzen und feiern. Das Ziel ist es, einen sicheren Raum zu schaffen, in dem Frauen aus Berg Fidel sich frei bewegen und einfach sie selbst sein können – ohne Angst oder Scham. Durch das gemeinsame Tanzen wird das Körpergefühl gestärkt und ein positives Gemeinschaftsgefühl gefördert.

Die Idee für die Partys entstand von einigen Frauen aus dem Stadtteil selbst. Neben dem gemeinsamen Feiern und Tanzen fördern die Partys, dass sich die Frauen aus dem Stadtteil gegenseitig kennenlernen. Die Organisation der Veranstaltungen erfolgt in Eigenregie. Durch das gemeinsame Organisieren und Feiern wird das Selbstbewusstsein gestärkt und der interkulturelle Austausch sowie das Verständnis für unterschiedliche Kulturen gefördert.

Die Frauen-Partys sind also mehr als nur Partys. Sie sind ein Ort der Begegnung, der gegenseitigen Wertschätzung und des Empowerments. 

Das Community-Dinner

Essen verbindet – dieses ungeschriebene Gesetz wird seit September 2024 jeden Monat in Berg Fidel beim Community-Dinner deutlich. Eingeladen sind alle, die Lust am gemeinsamen kochen und essen haben. Alle können Rezepte, Kochpraktiken und Erfahrungen mitbringen – egal ob es um gesunde, günstige Ernährung oder besondere Gerichte geht. Gemeinsam werden die Rezepte dann gekocht. So entsteht ein Raum, in dem Wissen geteilt und Neues gelernt wird.

Das Community Dinner greift zentrale Themen des Stadtteils auf: Es schafft einen Ort für interkulturellen Austausch, Begegnung und Vernetzung. Hier können Menschen aus verschiedenen Kulturen zusammenkommen, um sich kennenzulernen und voneinander zu lernen. Durch die Zusammenarbeit mit lokalen Gruppen und Organisationen wird der Zugang zu Räumen erleichtert und die Sichtbarkeit verschiedener Gruppen im Stadtteil erhöht.

Genauso wie bei den Frauen-Partys wird auch beim Community-Dinner die Organisation in Eigenregie von den Menschen aus Berg Fidel übernommen - mit Unterstützung von lokalen Stadtteilakteuren wie dem Lorenz Süd. Es geht darum, die Kraft und das Wissen der Gemeinschaft zu stärken und die Selbstorganisation zu fördern.

Die bisherigen Ergebnisse: Was bedeutet dies für eine Gesunde Stadt?

Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass die Menschen in Berg Fidel nicht grundsätzlich schwer erreichbar sind. Vielmehr verhindern Stigmatisierung, Diskriminierung und die Außendarstellung des Stadtteils eine aktive Teilhabe an der Stadtentwicklung. Um das Engagement und die Selbstbestimmung der Bewohner*innen zu fördern, ist es wichtig, die vorhandenen Potenziale und Ressourcen vor Ort zu stärken und gemeinsam Projekte umzusetzen.

Der Aufbau von Vertrauen sowie gemeinsame Aktivitäten wie offene Treffs, Community Dinner oder Frauen-Partys tragen dazu bei, das Engagement für den Stadtteil zu erhöhen und sind für eine gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung unerlässlich. Community Forschung fungiert dabei als wichtige Brücke zwischen den Bewohner*innen, lokalen Akteuren und der Stadt.

Die Bewohner*innen von Berg Fidel zeigen hohe Motivation, eigene Projekte zu gestalten und sich für ihren Stadtteil einzusetzen. Um dies langfristig zu unterstützen, sind dauerhafte stabile Strukturen und ausreichende Ressourcen für Community Forschung und Empowerment notwendig.

Daher werden dank der Unterstützung des Verfügungsfond der Techniker Krankenkasse weitere Frauen aus Berg Fidel zu Community Forscher*innen bzw. Gesundheitslots*innen ausgebildet. Dadurch können bestehende Projekte weitergeführt und neue Projekte im Stadtteil gemeinsam umgesetzt werden. 

Das Projektteam:

©Community-Forscherin in Berg Fidel. Screenshot aus dem Film zur Verleihung des Citizen Science Preis der Stiftung der Universität Münster. Online abrufbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=Sur_V5VODXE . Universität Münster u. Jöcker. WOW Film (2023). 

  • Prof. Iris Dzudzek, Professorin für Kritische Stadtgeographie, Universität Münster
  • Lisa Kamphaus, Projektkoordination und wissenschaftliche Mitarbeiterin der AG Kritische Stadtgeographie
  • Natividad Abaga Ayecaba, Community Forscherin und Bewohnerin Berg Fidel

Beim ersten Empowerment-Workshop der Community Forscher*innen aus Berg Fidel gemeinsam mit den Community Forscher*innen aus Bochum, Hustadt wurden erste Projekte für Berg Fidel geplant und eine Gruppe für den Stadtteil gegründet. Quelle: Lisa Kamphaus

Die Community Forscher*innen:

  • Natividad Abaga Ayecaba, Community Forscherin und Bewohnerin Berg Fidel
  • Fatima Badreddine, Community Forscherin und Bewohnerin Berg Fidel
  • Zeynep Fazlji, Community Forscherin und Bewohnerin Berg Fidel
  • Silvia Johnson, Community Forscherin und Bewohnerin Berg Fidel
  • Sandra Kuzevic, Community Forscherin und Bewohnerin Berg Fidel
  • Zejnep Osmani, Community Forscherin und Bewohnerin Berg Fidel
  • Esada Selimovic, Community Forscherin und Bewohnerin Berg Fidel
  • Alaa Youssef, Community Forscherin und Bewohnerin Berg Fidel

Ansprechperson für Rückfragen und weitere Informationen:

Lisa Kamphaus
E-Mail: lisa.kamphaus@uni-muenster.de; Tel: 0251 8330117
Instagram-Kanal der Community-Forschung Berg Fidel 

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